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Weshalb ich ungern Menschen fotografiere

Eigentlich sind Menschen sehr tolle Motive. Ihre Reaktionen und Emotionen können mehr sagen und an Gefühl auf den Betrachter übertragen als manch detailliert geschriebene Beschreibung. Nur ehrlich müssen diese Motive entstehen - und das ist der Punkt, weshalb ich ungern Menschen fotografiere.

Neulich habe ich erst durch Zufall in dem Buch "Die alltägliche Physik des Unglücks" genau das gelesen, was ich selbst über Bilder von Menschen denke, dort hies es nämlich
"Es heißt, wenn Leute nicht merken, dass man sie knipst, dann sehen sie so aus wie in Wirklichkeit" (S. 381, Pessl, Fischer Verlag 2.Auflage 11/2008).
Immerwieder wenn man eine Person fotografieren möchte und sie einen bemerkt wird blitzschnell umgeschaltet. Manche versuchen sich zu entziehen, halten eine Hand vors Gesicht, drehen sich weg. Andere setzen eine Grinsemiene für die Kamera auf, drehen sich zum Fotografen - versuchen sich selbst ins rechte Licht zu rücken. Was dabei entsteht ist eine gestellte Szene, die kaum noch etwas mit dem ursprünglich für wunderschön empfundenen Motiv gemein hat. Schafft man es doch einmal unbemerkt ein Bild zu machen oder wird erst anschließend bemerkt, gibt die fotografierte Person meist zu, dass es ja doch ein schönes Bild geworden ist.

Dabei sind doch die wahren, tollen Bilder die, welche aus der Situation heraus entstehen, ehrliche Emotionen zum Ausdruck kommen - ein Mensch der sich unbeobachtet fühlt gebärdet sich auch so wie er wirklich ist.
Es soll natürlich nicht darum gehen mit einem Foto jemanden dabei zu erwischen, wie er etwas peinliches tut, nur weil er sich unbeobachtet fühlt.

Oft sind diese Motive alltägliche Situationen, der fotografierte versteht gar nicht weshalb man es als ein schönes Bild empfindet, wenn man ein Foto beim Lesen auf dem Sofa von ihm macht oder einer anderen normalen, für ihn typischen Tätigkeit. Die Schönheit liegt dabei natürlich auch im Empfinden des Fotografen. Eigentlich ist es ein Kompliment an die fotografierte Person - sie ist einem wichtig und man schätzt genau diese ganz eigenen, persönlichen Momente und das charakteristische Verhalten. Das Ziel ist es genau so einen Moment festzuhalten, der vielleicht auch mit einer Lebenssituation oder einer gemeinsamen Zeit verbunden wird. Diese Bilder sind selbstverständlich nicht immer zum veröffentlichen gedacht oder geeignet, man macht ja oft auch Fotos nur für einen selbst oder einen engen Kreis von Personen.

Selbstverständlich kann ich auch die Personen verstehen, die fotografiert werden. Der Mensch ist nunmal eitel und legt es ungern in die Hand eines anderen dargestellt zu werden. Es ist also ein hohes Maß an Vertrauen gegenüber dem Fotografen nötig - oder natürlich ein großes Ego, es gibt ja auch die Leute, die es lieben geknipst zu werden, wobei diese sich auch oft gerne selbst in Szene setzen.
Inzwischen verhalte ich mich auch so, wie ich es gerne von anderen Leuten hätte. Merke ich, dass jemand mich bei einer Tätigkeit, erscheint sie mir noch so sinnentleert festgehalten zu werden, ablichten möchte, versuche ich ganz normal weiterzumachen und mich nicht bewusst der Kamera zu widmen.

Allerdings muss ich auch einräumen und habe mit der Zeit gelernt, dass ich auch manchmal über meinen Schatten springen muss, was den Anspruch an mein gedachtes Foto angeht. Denn oft spricht mich bei Familienfeiern mein Vater an, ich würde ja so gerne fotografieren, ob ich nicht mal ein paar Bilder machen möchte. Ich verneine meist. Früher hab ich es noch versucht, die Familie beim Essen, bei Unterhaltungen, Diskussionen abzulichten - die Ergebnisse waren, dass die Situation unterbrochen wurde, man sich zur Kamera drehte, lächelte und wartete bis das Bild fertig war.

Mich störten dann diese Bilder irgendwie. Sie hatten kaum Charakter und es fehlte ihnen das Lebendige. Im Prinzip immer das selbe, mit auswechselbaren Personen.
Die Krux aber ist nun: ich habe kaum aktuelle Fotos der Personen, die mir wichtig sind. Das stört mich gerade jetzt, wo man sie nicht mehr so oft sieht oder sich die Menschen verändern - was sicherlich auch besonders dadurch auffällt, dass man sie nur nach längeren Zeitabständen sieht.

Ich habe mir also vorgenommen wieder mehr Fotos von Menschen zu machen, die dann eventuell nicht meinem gestalterischem Anspruch gerecht werden, aber ich bin mir sehr sicher, dass ich mir diesen Abstrich in vielen Jahren danken werde, denn wie das Bild auch aus gestalterischer Sicht ausschaut, ich habe visuelle Erinnerungen an die lieben, teuren Menschen, die die eigene Erinnerung mit den Jahren verwischt hätte.