HH maczarr.de

"Sie können die Wahrheit doch gar nicht vertragen!"

Heute war die Berufsschule mal ganz anders, wir waren nämlich beim Arbeitsgericht und haben uns fünf Gerichtsverhandlungen angesehen.
Um 9.45 Uhr ging es los. Ein Mann hatte nach mündlicher Vereinbahrung ein Praktikum bei einer Gas-/Wasser-Firma gemacht, dort aber selbstständig gearbeitet, also definitiv richtig mitgearbeitet und nicht zugesehen. Er klagte nun eine Entlohnung ein, da seine Tätigkeiten über die eines Praktikanten deutlich hinausgingen. Das Gericht sah dies genauso. Ein Praktikum ist zum "hineinschnuppen" da und wenn ein Arbeitgeber die Fähigkeiten eines Angestellten sehen möchte, muss er ihn einstellen und hat dann in der Probezeit Gelegenheit dazu. Vor einem Richterspruch wurde allerdings ein Vergleich gemacht - für die Angeklagten das wirtschaftlich günstigste. Die Verhandlung dauerte etwa 20 Minuten und die darauffolgende 10 Minuten - eine Einigung, na klasse.

Vom dritten Verfahren erhofften wir uns mehr Spannung. Möbelhaus Porta gegen den Betriebsrat! Da das Möbelhaus aber zum 30. Juni geschlossen wird, einigte man sich darauf das Verfahren ruhen zu lassen. Nach 15 Minuten war also auch hier Schluss und wir hatten 30 Minuten Pause.
Am Kiosk gegenüber kauften wir uns Kaffee und die Parteien vom eben gesehenen Fall standen gemütlich zusammen und diskutierten in gelassener Atmosphäre, ob die weiteren Verfahren auch ruhen gelassen werden können - schön, dass das manchmal so einfach sein kann.

Im Anschluss daran folgte Fall Nr. 4 - H&M gegen eine (ehemalige) Angestellte.
Die Verkäuferin hatte in den Jahren 2003 bis etwa Mitte 2007 mit, im einzelnen kurzen, Krankheitszeiten zwischen 60 und am Ende ca. 100 Fehltagen im Jahr geglänzt. Daraufhin war sie gekündigt worden und ging nun dagegen vor. H&M war mit Anwalt, Geschäftsführer und Filialleitern aufgelaufen. Der Fall versprach interessant zu werden, aber nichts da. Die Kontrahenten einigte sich nach kurzer Zeit darauf, dass die ehemalige Mitarbeiterin eine Abfindung von 1000 Euro bekommen sollte und das Arbeitsverhältnis beendet sei.

Der letzte Fall begann um 12:30 Uhr. Eine Physiotherapeutin hatte ihrem Angestellten gekündigt, nachdem sie herausfand, dass dieser nebenher noch selbstständig tätig war. Der Streitpunkt war nun vorranging, wann die Kündigung übergeben wurde - also fristgerecht oder ob noch ein Monat mehr hätte bezahlt werden müssen.
Die Richterin (übrigens eine sehr nette) hatte uns schon in der Pause vorher gesagt, dass es interessanter werden könnte, denn hier gab es eine Beweisaufnahme.
Damit begann es dann auch. Zuerst der Zeuge der Beklagten. Der Herr trat sehr sicher und souverän auf. Er Beantwortete alle Fragen und wirkte auf mich auch ehrlich. Die Aufnahme seiner Aussage nahm etwa 45 Minuten in Anspruch - danach gab es eine kurze Unterbrechung.
Ein krasses Gegenstück bildete die nun vernommene Zeugin (und Lebensgefährtin) des Klägers. Sie wirkte unsicher, ja sogar ein bisschen genervt manchmal und vor allem relativierte sie jede ihrer Aussagen so dermaßen, dass man nachträglich alles wieder hätte ändern und umbiegen können à la "ich hab doch gesagt, ich war mir nicht sooo sicher" - aus meiner Sicht war die Aussage völlig nutzlos für den Kläger.
Allerdings sorgte die Zeugin für eine Überraschung. Unter Anderem gab es den Streitpunkt, dass im Vertrag des Klägers eine handschriftliche Notiz zu Nebentätigkeiten war, welche sich aber nicht im Vertrag, den die Beklagte hatte, wiederfand. Die Beklagte wie auch der Kläger sagten beide aus, dass dies nicht ihre Handschrift sei.
Nun kam es zur Gretchenfrage, als der Anwalt der Beklagten die Zeugin des Klägers aufforderte, sich einmal die Handschrift anzusehen, ob sie diese irgendwem zuordnen könnte. Da kam der Hammer. Sie sah sich die Schrift an und sagte daraufhin, dass sie diese Handschrift eindeutig als die ihres Lebensgefährten wiedererkennen würde. Wow! Darauf wurde in diesem Verfahren leider nicht weiter eingegangen, aber nun gut.
Um 15:15 Uhr war auch diese Verhandlung zuende, allerdings waren wir nicht zufrieden, denn sie wurde vertagt.

Der Tag im Arbeitsgericht Hannover war eigentlich recht interessant - einfach mal was anderes. Ich hab mir bisher ein Gericht auch etwas anders vorgestellt. Es war eine recht lockere Atmosphäre und außer im letzten Fall gab es auch keine Stenographen, die protokollierten, sondern die Richterin musste dies selbst nebenher auf einem Tonband machen und die Angehörten immerwieder fragen, ob ihre Aussage so richtig wäre, was machmal zwischendurch für Langeweile bei den Zuschauern sorgte. Dennoch ein aufklärender Tag.