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kindliche Phantasie

Die Phantasie als Kind ist eigentlich das Tollste was man haben kann. Es braucht nicht viel, ein komisch geformter Stein, eine Wiese, ein Baumstumpf und es entsteht beim Spielen vor dem geistigen Auge eine riesige, vielfältige Welt. Wird man älter geht das irgendwann verloren, man muss "erwachsen werden" und sich dem Ernst des Lebens stellen.

Ich habe ein paar schöne Erinnerungen an diese Kindzeit, stundenlang mit Lego oder Spielzeugautos gespielt, mitten auf dem Teppich - so sah es für meine Eltern aus - doch vor mir war eine große Welt, die sich auf das gesamte Spielzimmer erstreckte und verschiede Schauplätze hatte, an denen sich nach und nach immer mal wieder etwas abspielte.
Auch habe ich einmal mit einem Kassettenrekorder eine Geschichte aufgenommen. Mehrere Personen, alle mit unterschiedlicher Stimme und ich plapperte zehn Minuten ohne Unterbrechung einfach so herunter ohne mir vorher auch nur einen Gedanken über den Ablauf der Geschichte gemacht zu haben, Namen ausgedacht oder Charaktereigenschaft überlegt zu haben - aber in meinem Kopf entstand binnen Bruchteilen von Sekunden eine Welt, so klar, dass ich sie sofort in Worte fassen und ein kleines Hörspiel aufsprechen konnte.

Später änderte sich das. Häuser beim Spielen mit Lego brauchten auf einmal eine komplette Wand, da reichte nicht die untere Reihe - das war ja so kein Haus. Vom normalen Lego gings irgendwann zu Lego Technik über, etwas konstruieren was realistisch aussah und sogar funktionierte - toll, aber nur Bau nach Plan, Eigenkreationen waren damit kaum mehr möglich.
Tja und dann ist da diese eine sehr konkrete Erinnerung, die für mich persönlich das Ende der kindlichen Phantasie symbolisiert. Ich saß mal wieder im Spielzimmer, hatte irgend etwas mit Lego zusammengebaut wobei auch ein Fluss mitspielen sollte. Blaue Steine waren stellvertretend für das Wasser eingebaut, aber das gefiel noch nicht so. Ich ging zu meiner Mutter und sagte, dass ich da irgendwie Wasser drauf kriegen müsste, ich möchte was mit einem Fluss spielen. Meine Mutter fragte weshalb ich denn Wasser brauchen würde - ich hätte doch sonst auch immer einfach blaue Steine für Wasser genommen und sollte doch einfach so damit spielen. Wasser könnten wir auf die Lego-Platte eh nicht kriegen ohne eine Sauerei anzurichten. Also ging ich wieder ins Spielzimmer und wollte mir das Wasser eben "denken" - nach fünf Minuten hörte ich wieder auf. Es machte so für mich keinen Spaß mehr...

In welches Alter ich diese Erinnerung einordnen muss weiß ich leider absolut nicht. Auch finde ich keinen Anhaltspunkt für eine zeitliche Einordnung dieser Erinnerung, was im Prinzip aber auch gar nicht so wichtig ist. Das interessante ist, dass mir schon damals irgendwie bewusst war, dass sich etwas geändert hatte, wusste ich doch auch, dass mir vorher blaue Steine vollkommen gereicht hatten einen reißenden Fluss zu sehen, aber es funktionierte nicht mehr.

Mit der Zeit wurde diese kindliche Phantasie dann immer weniger. Schule rückte in den Vordergrund und da waren ganz andere Dinge gefragt als Phantasie. Auch kann ich mich nicht entsinnen in meiner Jugend irgendwann mal wieder einen Zeichenblock in die Hand genommen zu haben ausserhalb der Schule oder mich sonst mit kreativen Dingen beschäftigt zu haben. Wenige Male ging ich mit meiner Mutter zu einer Kunstausstellung, das sind die seltenen, rühmlichen Highlights.
So in den letzten 5 Jahren kam dann langsam wieder ein Interesse an diesen Dingen zurück. Ich widme mich künstlerischen, kreativen Dingen und weckte mein Interesse an ihnen. Theater spielte ich mehrere Jahre und ein Jahr auch im Schul-Musical. Mit 17 fing ich an E-Bass zu spielen, in etwa auch in dem Alter kaufte ich meine erste Wasserpfeife (das klingt jetzt komisch, aber die Wasserpfeife trug dazu bei sich einfach mal hinzusetzen und nichts weiter zu machen, als nachzudenken während man rauchte. Ein Bild genauer zu betrachten oder mit Freunden über irgendwelche blöden Ideen zu sinnieren. Zugegebenermaßen habe ich dafür auch genau das richtige Umfeld an Freunden, die sicherlich auch zur Wiederfindung der Phantasie beigetragen haben.)
Vor ein paar Jahren kam dann das Interesse an der Fotografie auf und aktuell versuche ich einfach nur so mal Zeichnen zu lernen.
Doch wieder da hin zu kommen, wo man mal als Kind war ist glaube ich kaum möglich. Man muss sich leider auch viel zu sehr mit ernsten Themen und Problemen auseinander setzen, aber wenigstens ein bisschen sollte es möglich sein dem Ideal wieder näher zu kommen. Auch möchte ich gar nicht die Augen vor den weniger angenehmen Seiten des Lebens verschließen, das käme mir sehr ignorant vor.

Das Schöne an dieser kindlichen Phantasie ist ja auch, dass man einfach etwas erfinden und vor dem geistigen Auge entstehen lassen kann. Dabei geht es überhaupt nicht darum kindisch zu sein sondern nur mal das Ernste ausblenden zu können, die Probleme mal kurz weg zu dimmen und sich auf den Moment zu konzentrieren, seine Kreativität einfließen zu lassen, dummes Zeug zu reden, aus einem Satz ohne Bedeutung ein Gespräch ohne Hintergrund zu machen und am Ende nur zu lachen, was man da eben ersponnen hat.
Schonmal die letzten Sommer einfach wieder auf einer Wiese gelegen, die Wolken betrachtet und in ihnen etwas gesehen? Im Herbst aus dem Fenster geschaut und in den Bäumen und ihren Ästen mit Blättern Formen erkannt? Oder sich eine Geschichte ausgedacht? Oder ein kleines Gedicht geschrieben? Oder oder oder?