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Wenn man keine Ziele mehr hat

Am letzten Freitag wurde vom ehrenvollen Herrn @svennov mal wieder ein Pubcrawl durch Hannover-Linden veranstaltet. Ziel ist es durch 7-8 urige Kneipen der Stadt/des Stadtteils zu ziehen.

Eigentlich heißt diese Veranstaltung "Hartz4-Pubcrawl", denn Svens Ziel war es zu Anfang durch die ranzigsten, heruntergekommendsten Kneipen der Stadt zu führen, wo in der Regel auch das entsprechende Publikum ist - mittlerweile sind die Trinkhallen aber eher einfach nur noch älter und im Prinzip eben normale Kneipen.

Irgendwann stand dann auch der letzte Schuppen des Abends an. Der Laden ist nicht sonderlich groß, zwei Tische mit ein paar Stühlen, zentrales Element ist die Theke auf die man direkt nach dem Eintreten zukommt. In einem kleinen, dunklen Zwischenraum zu den Toiletten hängt ein alter Jukebox-Automat, der tatsächlich noch funktioniert. In der Ecke an der Theke sitzt ein Mann um die 40 sichtlich angesäuselt auf einem Barhocker, über ihm an der Wand hängen zwei PinUp-Kalender. Der eine auf Oktober, der andere schon auf November. In dem Laden wird ordentlich gequarzt, dünne weißliche Nebelschwaden hängen in der Luft und reizen die Augen. Die Kneipe ist unerwartet hell ausgeleuchtet - niemand stört sich daran.

Wir saßen nun also schon eine Weile in der Kneipe verteilt. Einer unterhielt sich mit dem Typen in der Ecke, ein paar hockten vor der Jukebox und amüsierten sich über die zur Auswahl stehenden Lieder. Meine Wenigkeit saß mit an der Theke, links neben uns ein Mann um die 50, stark betrunken aber fit, nennen wir ihn Werner. Es kam die Vermutung auf, dass er seinen Abend häufiger mit Pils verbringt. Lautstark schwatzte er durch die Kneipe, anscheinend kannte er jeden und quatschte die Leute unserer Truppe auch zu sobald sie neben ihm saßen.

Nach einiger Zeit kam in mir eine etwas melancholische Stimmung bei dieser Kneipe auf bzw. eher bei den Menschen in ihr. Ich hatte das Gefühl mit diversen Personen in einem Raum zu sein, die irgendwann alle ihre Ziele über den Haufen geworfen hatten oder noch schlimmer: nie wirklich welche hatten. Von einem in den nächsten Tag gelebt haben. Arbeit - Feierabend - irgendwas um die Zeit rum zu kriegen - schlafen. Tag für Tag der selbe Ablauf mit so banalen Unterschieden, dass beim Bäcker die Brötchen heute schon um acht statt wie sonst halb neun auf waren. Irgendwann stellten sie dann fest, dass sie 30 Jahre lang nichts erlebt haben und fingen an den Verdruss darüber mit Alkohol erträglicher zu machen.
Werner war nun also ausgelassen am Feiern, Bier trinken, schwatzen und lachen. Aber irgendwie wirkte es nicht glücklich - man hatte das Gefühl in seiner leicht verschwommenen Welt gerade war er der König - für sich wenigstens, aber irgendwie innerlich war klar, wenn die Kneipe verlassen ist und der Rausch nachgelassen hat ist es wieder aus mit dem Spaß und der Freude. Zu lachen gibts dann kaum noch was.

Abgehoben vom König und seiner Entourage hat sich die Bedienung. Sie war nicht betrunken. Faltenreiches Gesicht, dicke Tränensäcke, keine Spur von Freude zu erkennen - sie hat das alles einfach nur ertragen, hatte man das Gefühl. Ich empfand sie eigentlich als die traurigste Personen im Raum. Sie war es im Prinzip auch, die mich zu diesem Eintrag bewogen hat. Die betrunkenen Gäste kennt man, gibts in jeder Kaschemme und dass sich die gefallenen Seelen treffen wo es Gerstensaft gibt und die Hoffnung besteht noch schlimmere zu treffen ist auch nichts neues.
Bei der Bedienung fragte ich mich wirklich, wie man zu diesem Punkt kommt. Ist das ein schleichender Prozess oder gibt es einen Wendepunkt im Leben?

Kneipen können sehr traurige Orte sein, glücklicherweise war das bei meiner Stammkneipe in Ostfriesland nie der Fall, weshalb ich eigentlich ein sehr positives Verhältnis zu (kleinen) Kneipen habe. Klar, bei uns gab es auch die urigen Typen. Nehmen wir da mal als Beispiel "den Baum". Ein älterer Mann, der immer die Tische abräumt, wenig redet, langes, graues Haar hat, zu 2-3x Liedern abgeht wie ein Jugendlicher und über den das Gerücht kursiert, dass er so ist, weil er mal vor zig Jahren auf einem LSD-Trip hängen geblieben ist. Achja und der Name "Baum" kommt daher, weil er groß ist und manchmal irgendwo rum steht und glaubt er sein ein Baum.
Dennoch hatte meine Stammkneipe nie diese bedrückende Atmosphäre. Ich glaube am Freitag hatte sonst niemand dieses Gefühl, die anderen haben den Ort und sein Ensemble einfach als Entertainment hingenommen, aber das gelingt mir nicht immer so. Ich schaue mich viel um, schaue Leute in der Ferne an und manchmal macht mich das eben nachdenklich und dann kommt sowas wie das hier dabei raus.